Interview mit Frau B. (Musiktherapeutin)


Liebe Frau B., ich kenne Sie schon länger und ich erinnere mich gerne an unser
gemeinsames Musizieren im Rahmen der Musiktherapie im Klinikum Ludwigsburg. Sie haben ein großes Herz für Menschen und viel Liebe zur Musik und deswegen habe ich ein paar Fragen an Sie, die meine Leser interessieren könnten.

Können Sie uns einen Überblick über Ihre Tätigkeit als Musiktherapeutin geben?

Meine Anstellung in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin lässt mich musiktherapeutisch sowohl stationär, als auch in den angeschlossenen Tageskliniken wirken.


Wie sind Sie dazu gekommen, Musiktherapie zu Ihrem Beruf zu machen?


Ich mag Menschen, liebe Musik und beides zusammenzubringen ist ein sehr feines Feld. Musik ist ein Medium, welches die Menschen bereichert und sehr stark auf sie einwirkt. Schon im Mutterleib sind wir von Puls und Rhythmus umgeben und rhythmische Strukturen begleiten uns später durch das ganze Leben.
Mit Musik erreicht man die Menschen über all seine Sinne; deshalb war Musik für mich schon immer ein faszinierendes Feld.


Was für Menschen kommen zu Ihnen in die Therapie?

Aktuell sind das Menschen, welche psychisch erkrankt sind.

Welche persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften sind für einen Musiktherapeuten besonders wichtig?


Man sollte Mensch und Musik achten und sollte mit den Instrumenten auf „Du“ sein;
das heißt, einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit allen Instrumenten haben.
Sie dürfen die Aufmerksamkeit durch mangelnde Übung nicht binden – diese muss
ausschließlich beim Gegenüber sein können.
Außerdem ist der bewusste Umgang mit der Stimme als weiteres, wertvolles Musikinstrument mir persönlich sehr wichtig.


Kommen Sie morgens gerne zur Arbeit?


Ja.


Wie lange machen Sie diesen Job schon?


Seit 13 Jahren.

Welche Ausbildung bzw. welchen akademischen Hintergrund haben Sie?


Begonnen hat meine Ausbildung am Klavier mit dem 6. Lebensjahr.
Später dann Abitur an einem musischen Gymnasium mit Musik als Hauptfach.
Anschließend Musikstudium mit Kernfächern Klavier, Querflöte, Gesang und Chorleitung und letztlich das Masterstudium zur Musiktherapie

Haben Sie sich auch auf eine Masterarbeit geschrieben? Was war das Thema?

Singen, Atmung und Singstimme im Masterstudium der Musiktherapie.


Was bedeutet Musik für Sie?


Musik bedeutet für mich alles. Musik ist Leben. So wie wir Musik wahrnehmen, nehmen wir auch das Leben wahr. Da finden sich unglaublich
viele Überschneidungen.


Also, mir ist ja auch aufgefallen in unseren Therapiestunden, dass Sie so lieben zu
philosophieren in dem Sinne, wie man Leben und das, was musikalisch gerade passiert, vergleichbar ist. Das finde ich immer ganz spannend.

Es sind so viele Dinge, die wirklich ähnlich sind.
Wir können nicht immer nur aktiv sein – wir brauchen auch Pausen und eine Balance zwischen „viel“ und „wenig“.
In der Musik ist es genauso. In jedem Musikstück gibt es Töne, Klänge und Pausen.
Es gibt Regeln, welche in der Musik hörbar werden und die im Leben genauso gelten.
Man muss nur hinhören.


Welche Musik hören Sie privat am liebsten?


Jede, abhängig von der Stimmung. Klassik, Jazz, Pop…

Was halten Sie von Rockmusik?

Auch sehr gut – das ist Musik die noch richtig selbst gemacht ist.
Insbesondere die Bands der 70 Jahre haben richtig gute Musik auf dieser Erde hinterlassen.


Klassikrock und 70er liebe ich auch total


Es ist das wunderbar Schöne, dass Musik so viele Farben hat, dass man sie wirklich auch immer und überall für sich passend einsetzen kann.


Warum ist Musik und kreativer Ausdruck allgemein gut für die Seele?

Weil es ein Medium ist, das das Innen nach außen zu bringen zu bringen in der Lage ist. Ein sehr feines, weiches Medium, welches in unser Nervensystem dringt.
Insbesondere die Stimme, unser Tor von innen nach außen, bringt uns in Kontakt mit der Umwelt. Wir teilen uns damit verbal und klanglich mit.


Wie können psychisch kranke Menschen von Musiktherapie profitieren?


In jeglicher Form.
Das Schöne ist, dass Musik jeden Menschen dort abholt, wo er gerade steht. In seiner
Stimmung, in seinem Krankheitsbild, in seinem Jetzt-Da-Sein, in seinem Energiefeld.

Haben Sie ein Beispiel oder ein Erlebnis mit einem Klienten, der in der Musiktherapie
aufgeblüht ist und davon besonders eine Veränderung erfahren hat

Ein reales Beispiel ist mir leider nicht gestattet aber der Mensch, welcher sich auf Musik einlässt, erfährt sie auf allen Kanälen- auditiv, haptisch, optisch und sensitiv.
Dieses Feuerwerk der Sinne verändert den Menschen.


Und Veränderung brauchen wir, damit wir in die richtige Richtung gehen, oder?

Richtig, Veränderung zu akzeptieren, bedeutet aber auch Bereitschaft für Energieeinsatz.


Viele Menschen halten sich für unmusikalisch. Wie motivieren Sie diese, sich auf die
Musiktherapie einzulassen?


Leider ist das so. Ein Mensch, welcher kein Instrument erlernt hat und vielleicht keine Noten lesen kann, ist deshalb aber nicht unmusikalisch.
Wichtig ist, neugierig zu sein, sich auf Neues einzulassen und einem Ausprobieren gegenüber aufgeschlossen zu sein.
In der Musiktherapie gibt es kein Spiel nach Noten, es gibt kein Richtig und Falsch.

Bilden Sie sich weiter? Was gibt es noch für Sie zu lernen, um eine noch bessere
Musiktherapeutin zu werden? Was war Ihre letzte Fortbildung, wenn Sie eine hatten?


Ja, ich bilde mich gerne weiter und mache immer wieder Fortbildungen.
Den eigenen Geist zu erweitern, empfinde ich persönlich als etwas sehr, sehr Heilsames und Öffnendes.
Bodysong und Bodypercussion, Klangschalenmassage, Humor als Therapeutikum.

Ist Perfektionismus der Feind von musikalischem „Wohlbefinden“?

Nicht ausschließlich – Perfektionismus bringt uns auch weiter.
Ab und zu loszulassen und frei sich dem Gestaltungsprozess zu überlassen macht kreativ. Entdecken, geschehen lassen.
Wenn wir etwas perfekt abgeben wollen, macht das uns gleichzeitig fest;
wir verlieren unsere Lockerheit.

Ich muss gerade ehrlich sagen, bei manchen Instrumenten kenne ich mich ja auch ein bisschen aus und dass ich dann schon voll den Performance-Druck habe.
Also wenn ich spiele, dann denke ich, also während dem Spielen, während das nicht so ganz, aber generell, im Allgemeinen möchte ich irgendwie jemanden beeindrucken oder lieb gehabt werden oder wie soll ich sagen. Das ist ja für viele Künstler ja auch typisch.


Ja, da ist was dran.
Perfektionismus, wie gesagt, bringt uns auch weiter. Es ist eine wesentliche Sache, um überhaupt zu lernen und sich zu fordern.
Dabei ist auch hier die Balance wieder ein Thema; Balance zwischen Arbeit und Kreativität.


Was sind spezifische Bedürfnisse von Menschen mit paranoider Schizophrenie? Wie begegnen sie diesen und wie können diese von der Musiktherapie profitieren? Gibt es da Unterschiede? Gibt es da was, was man besonders berücksichtigen muss?


Es gibt so viele Unterschiede, wie die Menschen unterschiedlich sind.
Es gibt Grundbedürfnisse, die in jedem Menschen angelegt sind und eines der wesentlichen
Grundbedürfnisse ist Rhythmus und Sehnsucht nach Harmonie.
Mit Rhythmus kann ein gewisses Erden erreicht werden.
Und das ist wesentlich in dieser Krankheitsform.


Das ist in dieser Krankheitsform sehr wichtig, kenne ich auch von mir selber. Wenn ich mit meinem Kopf bin und davon fliege, dann kann ich gar nichts mehr machen. Jetzt war ich am Samstag zum Beispiel auf der Bärenwiese und habe einfach mal 20 Minuten Qigong gemacht, um mich zu erden.


Das wäre auch wieder wie so ein Baum manchmal und der ist ja auch tief verwurzelt.


Welche Kategorien von Instrumenten gibt es und wie werden diese eingesetzt?

Saiten-, Holz-, Fell-, und Metallinstrumente.
Eingesetzt werden sie je nach Befinden und Bedarf.

Wenn Sie ein Instrument auf einer einsamen Insel mitnehmen würden, welches wäre das?


Vermutlich würde ich mit dem gehen, mit dem ich begonnen habe. Ich habe mit dem Klavier begonnen.

Ich habe ja als Kind auch Keyboard gespielt, fünf Jahre. Und viel, viel, viel später, als ich dann auch hier im Krankenhaus mal wieder am Klavier saß, habe ich dann ein bisschen da experimentiert, also ein bisschen angefangen. Dann habe ich gemerkt, dass da viel, viel noch mehr da ist, was ich völlig vergessen hatte, was ich improvisieren kann.
Das ist wie Fahrrad fahren. Das bleibt einfach hängen.


Das ist das Besondere, weil es sind diese Spuren, die natürlich im Kopf angelegt sind.
Je früher man anfängt, desto stärker und desto tiefer ist es auch. Und es geht auch nie verloren. Das ist tatsächlich wie Fahrrad fahren.

Was ist das Besondere an gemeinsamen Trommeln?


Das Besondere an gemeinsamen Trommeln ist sicherlich, dass wir wirklich da alle gemeinsam ankommen können. Es beginnt mit dem Puls – unser Puls, den wir alle gemeinsam natürlich auch fühlen können.
Und das Besondere, wenn wir beim Trommeln sind ist, dass wir die Möglichkeit haben, entweder im Puls zu bleiben oder auch zu erweitern. Wir können die Veränderung einbringen oder auch sein lassen. Das ist auch wieder wie im Leben.
Wir können einfach experimentierfreudig sein. Oder wir können uns sicher fühlen und bleiben in diesem Pulsgefühl. In einem gleichmäßigen, sicheren Feld.
Und auf der Basis vom Puls kann ja auch dann ganz viel Variation und viele kleine Details reinkommen.
Wenn man gemeinsamen Puls hat, dann lässt sich das auch natürlich wunderbar aufbauen.
Also es kann immer etwas Besonderes draus werden.


Viele Menschen sagen ja, oh Gott, ich kann nicht singen. Wie motivieren Sie Menschen dazu, die Stimme zu erheben? Oder wie gehen Sie mit Gesang in der Musiktherapie um?


Es ist natürlich, die Stimme ist was sehr Besonderes, weil es so persönlich ist. Das sind wir wirklich selbst in Reinform – unser Atem wird tönend.
Wir sprechen mit der Stimme, lassen uns auch hier vom Klang tragen.

Meine Erfahrung zeigt, wenn man selbst aufgeschlossen mit der eigenen Singstimme umgeht, tun das andere im Verlauf auch.

Weil man vielleicht auch manches nicht zeigen möchte. Man möchte ja auch nicht
gesehen werden in allem, was in Einem einem geschieht.


Ja es ist sehr persönlich. Und deswegen ist jedes andere Instrument oftmals die erste Wahl.
Weil noch etwas zwischen mir und dem Außen ist.
Mit der Singstimme wird die Atemphase wird verlängert.
Damit wird mehr Sauerstoff transportiert. Man fühlt sich hinterher wohler, wenn man gesungen hat. Gleichzeitig kommt noch dazu, dass die Stimmbänder ja Vibrationen hervorrufen. Die massieren über die Körperflüssigkeiten den ganzen Körper, alle Organe,Sehnen, Knochen, Bänder, Nerven – hier wäre der Vagusnerv zu nennen.


Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit als Musiktherapeutin?


Den Beruf nicht mit nach Hause zu nehmen.


Da kommen wir auch zu einer wichtigen Frage. Wie bewahren Sie Ihre eigene emotionale Gesundheit bei der Arbeit?


Ich versuche, einen privaten Ausgleich zu schaffen.
Ich liebe schöne Musik, Kunst und die Natur und versuche auch im Außen immer das Schöne zu sehen, hören, riechen und fühlen.

Was inspiriert Sie an der Arbeit mit Musik und mit Menschen?


Die Musik selbst, ihre Töne, die Klänge, die Klangfarben und natürlich der Mensch selbst.


Wird sich Musiktherapie in den nächsten 10 Jahren verändern? Gibt es neue Trends?


Ganz sicher.
Er wird sicherlich noch vieles passieren in den nächsten 10 Jahren.
Trends gibt es immer wieder – die Aufmerksamkeit bezüglich der Musiktherapie verändert sich stetig. So war letztes Jahr war das Jahr der Stimme.

Gibt es Bereiche, in denen Musiktherapie mehr Anerkennung oder Unterstützung benötigt?


Man sollte schon in den Grundschulen den Ansatz von Musik und Musiktherapie etablieren.
Der Mensch braucht Musik – immer mehr. Insbesondere in dieser Technik-lastigen Zeit.


Wie denken Sie über den Satz, in jeder Krise steckt eine Chance?


Das ist tatsächlich so. Ich halte den Satz für richtig, aber es ist natürlich auch anstrengend.
In dem Moment, in dem man in der Krise ist, kostet es viel Kraft und zehrt an uns.
Hat man die Krise durchlaufen, entdeckt man oft, dass man in ihr viel mehr gelernt hat, als in den bequemen, lockeren Zeiten.

Die Realität ist manchmal ein bisschen hart.

Das ist leider wahr – um so wichtiger, dass wir uns ein starkes Medium an die Seite holen. Musik kann dabei sehr heilsam sein.


Das habe ich auch ein paar Mal erlebt in der Musiktherapie.
Auch bei dieser Session, wo ich total erschöpft war, was man mir manchmal auch ansieht. Jetzt gehe ich doch mal ans Klavier und dann bin ich fünf Minuten weg, voll im Flow und danach geht es mir einfach besser.


Was möchten Sie Menschen und ihren Angehörigen, die mit der Krankheit hadern,
mitteilen, um ihnen Mut zu machen?

Aus jeder Krankheit nimmt man immer auch besondere Erfahrungen mit.
Jede Krankheit ist ein Prozess, denn wir begleiten, der viel Energie fordert.
Tief durchzuatmen und ihn zuversichtlich mitzugehen trägt.

Wir fühlen uns manchmal ausgeliefert.
Selbst aktiv mitgestalten und die Gewissheit, selbst einwirken zu können
kann dieses Gefühl kleiner machen. Es liegt an uns, welche Seite wir füttern.

Das war ein schöner Schlusssatz, glaube ich. Damit wäre das Interview am Ende. Vielen Dank.

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