Tipps für Angehörige

Begleiten Sie einen Menschen, mit paranoider Schizophrenie? Einen Partner, ein Elternteil, ein Kind oder eine Freundin oder Bekannte?

Schizophrenie ist für das gesamte soziale Netzwerk des Betroffenen eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist dieses Netzwerk für die Genesung des Betroffenen sehr wichtig. Wer einsam ist und keine Freunde und Familie hat, hat es viel schwerer einen Ausweg aus der Krankheit herauszufinden.

Schizophrenie ist eine hinterhältige, hartnäckige Erkrankung welche die Lebensqualität massiv einschränkt. Ihr geliebter Mensch leidet und es ist schwer ihm/ihr zu helfen, was zu Hilflosigkeit und Schuldgefühlen führen kann: Was habe ich falsch gemacht?

Vorwürfe und Hilflosigkeit

Eine wichtige Botschaft wenn Sie ein Elternteil sind, sie haben nichts falsch gemacht! Schuldgefühle haben keinen Nutzen, also quälen Sie sich nicht damit. Schizophrenie ist eine multifaktorielle Erkrankung und ist ein Gemisch aus Genetik, Umwelteinflüssen und der individuellen Biografie des erkrankten Menschen. Etwa 1% der Menschen auf der Welt “erwischt” es einfach, das gilt es erst mal zu akzeptieren und sich auf die Lösungen zu konzentrieren statt in der Vergangenheit zu graben was alles schief gelaufen ist.

Meine Mutter hat sich im Verlaufe meiner 20-jährigen Psychoseerfahrung viele Vorwürfe gemacht, was sie hätte anders machen sollen, ich habe versucht sie zu überzeugen dass das weder hilfreich, noch sinnvoll ist. Weiterhin hat sich meine Mutter sehr hilflos gefühlt. Sie musste mit ansehen wie ihr geliebtes Kind leidet und war machtlos. Das hat sie frustriert und teilweise wütend gemacht. Sie hat viel emotional reagiert und mir Vorwürfe gemacht warum “ich mir das antue” und warum “ich die Gedanken nicht einfach wegklicke” und dass “es doch vorbei geht”.

Sie konnte einfach nicht nachvollziehen, dass ich in meiner Gedankenwelt so versunken war und dass ich so sehr an meinen Gedanken litt dass ich mich mit extremen Gefühlszuständen konfrontiert sah – so dass ich einfach keinen Ausweg sehen konnte. Ich konnte nichts dafür und hatte keine Kontrolle darüber. Ich gab mein Bestes und versuchte mit meiner Situation so gut umzugehen wie es eben ging. Meine Schwester machte mir auch Vorwürfe und kommentierte manchmal nach dem Tenor: man müsse “sich einfach zusammenreißen”. Diese Gedanken helfen schizophrenen Menschen gar nicht, weil es manchmal einfach nicht geht. Sie würden auch niemanden mit einem gebrochenen Bein animieren wollen, einen 100 Meter Lauf zu machen.

High expressed emotions

Problematisch sind die sogenannten “high expressed emotions”. Also hoch emotionale Kommunikation und Gefühlsausbrüche mit Wut, Ärger, Sorge oder Angst. Für Menschen mit Schizophrenie, die in der Regel sehr sensibel und verletzlich sind, sind diese emotionalen Ausbrüche ein großes Problem und eine Zusatzbelastung zu den schon vorhandenen, psychotischen Symptomen.

Versuchen Sie wohlwollend, empathisch und gelassen mit Ihrem Angehörigen zu kommunizieren.

Beziehungen und Krisen

Vor etwa 8 Jahren hatte ich eine sehr schöne, liebevolle Beziehung innerhalb derer eine neue Krankheitsepisode stattfand. Zu dieser Zeit zog ich mit meiner damaligen Freundin zusammen – welche noch studierte und wir verbrachten viel Zeit in unserer gemeinsamen Wohnung, welche meine Freundin sehr schön eingerichtet hatte, sie ist ein sehr kreativer Mensch und hat ein Händchen für Innenraumgestaltung.

Meine erwähnte Krankheitsphase war für uns beide sehr schwierig. Meine Freundin kümmerte sich um Haushalt und Essen, während ich die meiste Zeit auf der Couch verbrachte und mit meinen Gedanken kämpfte. Sie rutschte in eine Art “Mama-Rolle” und das war für unsere Beziehung nicht gut. Aber, sie hatte schon vor meiner Erkrankung versprochen (sie kannte meine Geschichte) “wenn dir nochmal sowas passiert, hole ich dich da raus!”. Und genau das hat sie auch gemacht. Viele Ihrer Freunde fragten, ob ihr dass nicht zu stressig wäre mit mir. Aber sie sagte darauf hin: “Ich bin erwachsen und weiß was ich tue”.

Meine Freundin war mir eine große Hilfe und sie verhielt sich ideal um zu meiner Gesundheit beizutragen und durch diese schwierige Phase zu navigieren. Wie hat sie das geschafft? Sie sagte immer wieder, es gehe darum “gelassen zu begleiten”. Sie hörte mir geduldig zu, wenn ich mal wieder Wahnideen hatte und von meinem Innenleben berichtete. Sie gab mir ein Gefühl von Wärme, Mitgefühl und Vertrauen. So konnten wir die Belastung gemeinsam schultern und sie war für mich ein Anker in dieser schwierigen Zeit. Wir haben viel geredet, waren gemeinsam spazieren und sind oft Essen gegangen. Die Psychose war hartnäckig, aber Schritt für Schritt kehrte ich, begleitet von meiner Freundin, ins Leben zurück und konnte wieder einem Beruf nachgehen.

Doch, in dieser Phase ist etwas zwischen uns kaputt gegangen und zwei Jahre später, ich war wieder gesund, trennte sich meine damalige Freundin von mir. Wir sind aber immer noch Freunde. Sie hatte viel Verantwortung für mich übernommen und mir durch diese schwierige Phase meines Lebens geholfen, mit Gelassenheit, Empathie und Kommunikation.

Tipps zum Umgang mit psychisch kranken Menschen

Versuchen Sie für Ihren Angehörigen einfach “da zu sein”, versichern Sie ihm immer wieder dass alles in Ordnung ist, das alles gut wird, bieten Sie einen “safe space”, einen sicheren Ort und Rahmen innerhalb dessen der schizophrene Mensch an sich arbeiten und gesund werden kann. Hören Sie zu, bleiben Sie gelassen und bieten Sie immer wieder Hilfe und Angebote zu gemeinsamen Aktivitäten an, wie Spaziergänge, gemeinsamer Sport, gemeinsames Kochen. Machen Sie Ihrem Angehörigen klar dass Sie für ihn da sind, dass sie ihn in seinem Leid annehmen und dass er Ihnen vertrauen kann. Vermeiden Sie Vorwürfe und “high expressed emotions”. Die Gedankenwelt eines Schizophreniekranken kann fremdartig und verstörend sein. Bleiben Sie cool und helfen Sie Ihrem Nächsten indem Sie ihn in seiner Erlebniswelt zwar ernst nehmen aber Wahnideen geduldig entkräften und ihm/ihr so immer wieder helfen den Weg zurück in die Realität zu finden. Dafür brauchen Sie Engelsgeduld und viel Zeit.

Verantwortung

Eines müssen Sie sich aber auch klar machen (wenn Ihr Angehöriger erwachsen ist), er/sie ist erwachsen und für sein Glück und seine Gesundheit selbst verantwortlich. Es ist sein/ihr Leben.

Natürlich würden Sie alles dafür tun diesem Menschen zu helfen, aber wichtig: Sie können ihn/sie nur begleiten, nicht heilen. Ihr geliebter Mensch muss seinen eigenen Weg gehen und, ich sage es nochmal, er ist für sich selbst, seine Gesundheit, sein Glück verantwortlich. Es ist wichtig dass sie Ihre Grenzen achten und sich nicht überfordern. Es bringt nichts wenn alle gemeinsam in den Abgrund stürzen, wenn Sie selbst ausbrennen, können Sie niemandem helfen und niemand hat etwas davon.

Wenn Sie in einer Hausgemeinschaft leben, versuchen Sie Ihrem Angehörigen einfache Aufgaben zuzuteilen, wie Staubsaugen, Aufräumen, Wäsche und Abwasch machen, Medikamente richten oder einkaufen. Das wird ihn/sie etwas von der Fixierung auf das Seelenleben ablenken und sorgt für etwas mehr Selbstwirksamkeit.

Alte Muster

In einer Eltern/Kind Beziehung rutscht man sehr oft in alte Muster.

Als meine Mutter Anfang 2024 für zwei Monate zu Besuch war, ist genau das passiert. Mein Mutter nahm mir alles ab und kümmerte sich um Essen und Haushalt. Ich war sehr unordentlich und schlampig und immer wieder ermahnte mich meine Mutter darüber was ich anziehen soll, wie ich mich beim Essen verhalte, wenn ich Flecken auf der Kleidung hatte und so weiter. Weiterhin hatte Sie kein Verständnis für meine psychotischen Symptome und mein Ruhebedürfnis. Ich rutschte in eine Kleinkindrolle und dass frustrierte mich sehr. Ich wollte als Erwachsender akzeptiert und angenommen und begleitet werden, andererseits “verhielt” ich mich wie ein Kind und wurde deswegen auch so behandelt. Mir, als 42-jährigen erwachsenen Mann war dass einfach nur peinlich und ich schluckte meinen Ärger herunter.

Ein gescheiterter Abend

In einer Situation, an die ich mich gut erinnere, wollten wir einen schönen Abend in der Stadt erleben. Ich suchte als Veranstaltung einen “poetry slam” aus, kaufte die Tickets und plante die Reise. Abendveranstaltungen stellten für mich ein großes Problem dar hinsichtlich meiner psychotischen Ängste. Bereits zwei Stunden´ bevor wir in den Bus stiegen um in die Stadt zu fahren wurde ich sehr nervös, ich äußerte dass gegenüber meiner Mutter aber Sie nahm mich nicht ernst und dachte “ich spinne mal wieder”. Wir waren eine Stunde zu früh, suchten uns einen Platz und bestellten uns was zu trinken. Meine Mutter war voller Vorfreude, aber mir ging es immer schlechter und ich wurde immer stiller. Gedanken prasselten auf mich ein wie ich so da saß und auf mein Getränk starrte. Ich sagte meiner Mutter dass ich das nicht schaffe und dass es mir nicht gut geht. Ich hatte psychotische Zwangsgedanken, Erinnerungen, Ängste und da baute sich immer mehr psychischer Druck auf der nicht auszuhalten war. Das Warten auf den Auftritt wurde zur Qual. Ich ging mehrmals nach draußen zum Rauchen und meine Mutter überredete mich, mir was zu Essen zu bestellen, das schien mir viel zu anstrengend und aufwändig, aber ich gab nach und schaufelte das Essen lustlos in mich hinein.

Ich äußerte immer wieder mein Unbehagen und meine Mutter konnte einfach nicht nachvollziehen warum es mir nicht gut geht und sie wurde wütend dass ich ihr den schönen Abend ruiniere. Irgendwann war es nicht mehr auszuhalten und ich bat meine Mutter kurz vor Beginn der Veranstaltung dass wir doch bitte nach hause gehen sollen. Meine Mutter stimmte zu und wir machten uns auf den Weg, wobei ich heftige Zwangsgedanken hatte und sehr von mir enttäuscht war.

Das sind Situationen, wo ich mir einfach mehr Mitgefühl, Rücksicht und Verständnis von meiner Mutter gewünscht hätte. Ich hatte so schon genug Probleme, als dass ich noch Energie für die Vorwürfe meiner Mutter gehabt hätte.

Reizabschirmung

Insbesondere während der Negativsymptomatik haben schizophrene Menschen ein hohes Bedürfnis nach Ruhe und Reizabschirmung. Sie brauchen viel Zeit für sich um die vielen Reize des Lebens zu verarbeiten. Das gilt es zu akzeptieren. Andererseits ist ein “zuviel” an hinlegen und ausruhen nicht so gut. Bieten Sie immer wieder gemeinsame Aktivitäten an und versuchen Ihren Angehörigen zum Sport zu motivieren (Sie Artikel Kraft der Bewegung)

Mahlzeiten

Mit einer gesunden Gestaltung Ihrer gemeinsamen Mahlzeiten können Sie positiv auf die psychische Gesundheit Ihres Angehörigen einwirken. Dass Gehirn braucht ausreichend Nährstoffe und Vitamine damit es zuverlässig funktioniert. Beachten Sie hierzu meinen Artikel: Nahrung für die Seele.

Experte für die Krankheit werden

Informieren Sie sich im Internet, Foren, Büchern und Seiten wie diesem Blog über das Thema Schizophrenie, Therapieansätze und Medikamente. Werden Sie (und Ihr Angehöriger) zum Experten für die Krankheit. Sie können Ihren Angehörigen auch beim Besuch beim Psychiater begleiten oder wenn Ihr Angehöriger in einem Krankenhaus ist, das gemeinsame Gespräch mit dem behandelnden Arzt suchen. Diese Gespräche helfen dabei, das weitere Voranschreiten der Genesung im Blick zu behalten. Werden Sie ein Team mit Ärzten und Betreuern welche zum Ziel die Genesung Ihres Angehörigen hat.

Es gibt sehr viele Stellschrauben an denen man drehen kann um die psychische Gesundheit zu fördern (viele Tipps zu Schizophrenie finden Sie in diesem Blog), dazu gehören Medikamente, Freizeitgestaltung, Hobbies, Sport, Entspannungstechniken, Tagebuch führen, Tagespläne, Spiritualität, Beschäftigung, Arbeit und Ernährung. Die mentale Gesundheit besteht aus einem Mosaik konsequenter sinnvoller Aktivitäten, Einstellungen, Handlungen, Mut und Geduld.

Es gibt Hilfe und Unterstützung durch Profis – sie müssen diesen Weg nicht alleine gehen. Beziehen Sie Freunde, Familie, Bekannte und Gemeinde in die Genesung Ihres Angehörigen mit ein.

Klinikaufenthalte und Gefährdung

Sie können versuchen die Krankheit ihres Mitmenschen möglichst von zuhause aus zu managen. In manchen Situationen kommt man aber an eine Grenze. Zum Beispiel wenn Ihr Angehöriger die Medikamente verweigert, nicht mehr schlafen kann, fremdaggressiv reagiert (über verbales hinaus) oder konkrete Pläne äußert sich etwas anztun. Problematisch ist auch eine fehlende Krankheitsansicht und wenn das Vertrauen in die Angehörigen verloren geht und die Symptome so überhand nehmen dass ein erträgliches Miteinander nicht mehr funktioniert. Wenn auch der gemeinsame Besuch beim Psychiater keine Verbesserung der Lage bringt wird es Zeit sich Hilfe zu holen.

Versuchen Sie Ihren Angehörigen zu überzeugen dass er Hilfe braucht und denken Sie über einen Klinikaufenthalt nach. Dort bekommt er/sie Hilfe. Die Psychiatrie ist kein schöner Ort und im deutschen Psychiatriesystem ist nicht alles so wie es sein sollte aber etwas besseres haben wir nicht.

Wenn die Gefährdung zu massiv wird und Ihr Angehöriger gar nicht mehr zugänglich ist müssen Sie auch über eine Zwangseinweisung nachdenken. Niemand will seinem Kind oder Partner so etwas freiwillig antun aber wenn es keine Alternative gibt, ist dass immer noch besser als das etwas passiert, was hätte vermieden werden können.

Im Krankenhaus arbeiten Profis, die schon vielen Menschen geholfen haben, suchen Sie das Gespräch mit den behandelnden Ärzten, besuchen Sie (und ihr soziales Netz) den Angehörigen im Krankenhaus und bleiben Sie in Kontakt. Wenn Sie mögen geben Sie Ihrem Angehörigen diesen Blogartikel zu lesen: (Psychiatrieaufenthalte meistern). Das könnte ihm/ihr auch einige Ängste nehmen, insbesondere wenn es der erste Besuch in einer Psychiatrie ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert